Der “European Green Deal” – eine Chance für Europa?

6. Juli 2020

Bis 2050 will die EU klimaneutral werden – den Weg dorthin soll der European Green Deal ebnen, dessen Eckpunkte am 11.12.2019 von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellt wurden. Ein ambitioniertes Ziel: Bis zum Beginn der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren.

Die viel beachtete Enzyklika Laudato si von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015, die den Untertitel „über die Sorge für das gemeinsame Haus“ trägt, hat die Kernaussage: Der Kampf gegen weltweite Armut und Umweltzerstörung gehören untrennbar zusammen.[1] Das päpstliche Dokument verdeutlicht, dass die Bewahrung der Erde mit ihren Ressourcen und Lebensräumen schon seit geraumer Zeit einen bedeutenden Teil des christlichen Glaubens darstellt. Daher ist es konsequent, dass die Arbeitsgemeinschaft katholischer Studentenverbände (AGV) auf der Grundlage ihrer christlichen Werte und der katholischen Soziallehre zu den Plänen der EU-Kommission mit der folgenden Stellungnahme den European Green Deal aus Sicht junger katholischer Akademiker bewertet und sich dazu positioniert

“European Green Deal”

Anfang März 2020 hat die EU-Kommission einen ersten (detaillierten) Ausgestaltungsvorschlag im Hinblick auf den sogenannten Green Deal vorgelegt. Um bis 2050 eine weitestgehende Klimaneutralität in Europa zu erreichen, müsse ein Großteil der Emissionen, die durch fossile Brennstoffe wie Öl, Kohle oder Erdgas entstehen, vermieden werden. Bereits bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um mindestens fünfzig Prozent sinken.

Durch EU-Verordnungen zur Energieeffizienz und zum Ausbau nachhaltiger Energiequellen soll ein Wandel hin zu erneuerbaren Energien weiter vorangebracht werden. Mit der Modernisierung und Sanierung von Gebäuden soll Energie weiter eingespart werden. Im Bereich Verkehr möchte die EU bis 2025 mindestens eine Million Ladestationen für E-Autos installieren. Außerdem soll für den Flugverkehr eine europaweite Kerosinsteuer eingeführt werden, im Schiffsverkehr soll zukünftig auch der Emissionshandel gelten. Auch im Bereich der Industrie sieht der Green Deal umweltfreundlichere Maßnahmen vor. Bereits sieben EU-Staaten wurden seitens der EU-Kommission finanzielle Subventionen für die Produktion von Batteriezellen im eigenen Land in Aussicht gestellt. In der Land- und Forstwirtschaft sollen laut der EU Waldgebiete erhalten und wieder aufgeforstet werden. Neben der Pflanzung tausender Bäume sind zudem neue Strategien für saubere Luft und Wasser geplant. Auch beim Import von außereuropäischen Gütern mit nachweislich niedrigem Klimaschutzniveau wird durch EU die Einführung einer CO2-Steuer in Erwägung gezogen, um auch außereuropäische Staaten für erhöhten Klimaschutz zu sensibilisieren.

Zur Umsetzung und Finanzierung des Green Deals müssen laut Kommission jährlich mindestens 260 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen generiert werden. Als Ausgleich für die von der Klimaschutzstrategie besonders stark betroffenen europäischen Regionen sollen diese mit einem zweistelligen Milliardenbetrag beim Strukturwandel unterstützt werden. Insgesamt soll der für die finanzielle Hilfe eingerichtete „Just Transition-Fonds“ mit bis zu 100 Milliarden Euro ausgestattet werden.[2] Eine wichtige Rolle wird dabei die Europäische Investitionsbank zugeordnet, die zukünftig als eine Art Klimabank Investitionen in nachhaltige Projekte fördern soll.[3]

Dabei ist es, wie bereits eingangs dargestellt, unstrittig, dass bei der Umsetzung von Klimapolitik und Klimaschutzmaßnahmen beherztes Eingreifen und Eile notwendig ist, um die skizzierten Probleme zu bewältigen. Dennoch sollte bei solchen Instrumenten wie dem European Green Deal nicht kurzsichtig oder nur um des Handelns Willen gehandelt werden. Im Gegenteil: Insbesondere solche umfangreiche politische Vorhaben bedürfen einer kritischen Begleitung durch die Öffentlichkeit und müssen im politischen Verfahren immer wieder diskutiert werden. Um diesen Prozess aktiv zu begleiten, möchten wir an dieser Stelle Kriterien vorschlagen, die aus unserer Sicht Klima- und Umweltpolitik benötigen, damit sie langfristig Erfolg haben. Im Anschluss werden wir anhand dieser Kriterien den European Green Deal bewerten.

Neben effektiven Maßnahmen zur Senkung der Emissionen und Umweltbeeinträchtigungen müssen aus unserer Sicht Klima- und Umweltpolitik auch gesellschaftliche Kriterien erfüllen, damit sie nicht zu Unruhen und Spaltungen in den europäischen Gesellschaften führen. Daher erachtet die AGV folgende Kriterien für notwendig:

Sozialer Ausgleich: Klimapolitische Maßnahmen dürfen nicht zu Lasten von einkommensschwachen und sozial schwächeren Personen gehen. Im Sinne des christlichen Menschenbildes ist es uns ein Anliegen, dass sich Menschen unabhängig von ihrer finanziellen Ausstattung entfalten und ohne Einschränkungen am gesellschaftlichen Leben partizipieren können. Der Klimawandel trifft nicht alle Menschen in gleicher Weise. Je ärmer und bedürftiger die Menschen sind, desto geringer sind ihre Möglichkeiten, den Folgen des Klimawandels auszuweichen, sich anzupassen, zu schützen, zu versichern oder entstandene reversible Schäden zu beheben. Dies trifft auch für ganze Weltregionen zu. Daher erachtet die AGV ausgleichende Maßnahmen für ärmere und schwächere Menschen für dringend notwendig.

 Regionaler Ausgleich: Neben der individuellen sozialen und finanziellen Situation kann auch der Lebensort entscheidend für die Auswirkungen von klimapolitischen Maßnahmen sein. Tendenziell fällt es Menschen aus Metropolen in Industrienationen leichter, sich an umwelt- und klimapolitische Maßnahmen anzupassen, als Menschen, die in ländlichen Regionen oder weniger entwickelten Ländern wohnen, weil sie eine bessere infrastrukturelle Ausstattung vorfinden. Da jedoch nach unserem Verständnis weder Wohnort noch Herkunftsland über individuelle Möglichkeiten entscheiden sollen, halten die katholischen Studentenverbände Instrumente für notwendig, die Chancengleichheit ermöglichen.

Generationengerechtigkeit: Kommende Generationen sind nicht die Verursacher, sondern die Lastenträger der Umweltauswirkungen des Handelns der heutigen Weltbevölkerung und vergangener Generationen. Dieser Umstand muss aus Sicht der katholischen Studentenverbände auch in der Klima- und Umweltpolitik abgebildet werden. Die externen Kosten des jetzigen Handelns, wie beispielsweise negative zukünftige Klimaauswirkungen, müssen daher schon heute berücksichtigt werden und für die Zukunft zurückgestellt werden. Das Abwälzen dieser Kosten auf zukünftige Generationen widerspricht unserem Verständnis von Generationengerechtigkeit. Vielmehr soll darauf hingewirkt werden, dass Preise die tatsächlichen Kosten abbilden und Externalitäten berücksichtigt werden und nicht auf zukünftige Generationen abgewälzt werden.

Nachhaltiges Wachstum: Um eine berufliche Karriere zu beginnen und eine Arbeitsstelle zu finden, sind insbesondere junge Menschen zum Abschluss ihrer Ausbildung auf Wirtschaftswachstum angewiesen. Daher erachtet die AGV es als wichtig, dass Wachstum nicht durch klimapolitische Maßnahmen behindert werden darf und Industriestandorte erhalten bleiben sowie im Strukturwandel intensiv begleitet werden. Vielmehr sollten die Maßnahmen so gestaltet werden, dass nachhaltiges Wachstum gefördert wird und so ein wichtiger Beitrag für die Erreichung der Klimaziele geleistet werden kann.

Diese aufgestellten Kriterien sollen helfen, den Diskurs über klimapolitische Maßnahmen zu begleiten. Klimafreundliche Nachhaltigkeitspolitik darf nicht den sozialen Frieden und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU gefährden. Es ist aus Sicht der katholischen Studentenverbände wichtig, die unterschiedlichen Ansätze zur Diskussion zu stellen und sie ergebnisoffen zu evaluieren. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit und Autonomie sowie die Vorreiterrolle der EU gegenüber anderen globalen Akteuren und Staatenbündnissen muss auch zukünftig weiterhin gewährleistet werden. Durch einen Green Deal als Wiederaufbauphase mit Fokus auf digitaler und klimaneutraler Transformation könnte die EU damit ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den USA und China schaffen. Ideologische Scheuklappen und pauschales Ablehnen von Vorschlägen erachten wir als schädlich und sie behindern das Erreichen des gemeinsamen Zieles der Klimaneutralität bis 2050.

 

 

Pressekontakt:

Lorenz Schmidt
Pressereferent
Email: schmidt@agvnet.de

[1] Vgl. http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html.
[2] Vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/eu-klima-greendeal-101.html.
[3] Vgl. https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/political-guidelines-next-commission_en.pdf.

 

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