Katholische Studentenverbände fordern entschiedenes Vorgehen gegen zunehmenden Antisemitismus

22. Januar 2019

Katholische Studentenverbände fordern entschiedenes Vorgehen gegen zunehmenden Antisemitismus

Im Jahr 2018 jährte sich zum 80. Mal die Reichspogromnacht vom 9. November 1938. Eine fatale Zäsur für das deutsch-jüdische Verhältnis. Auch in jüngster Vergangenheit waren in Deutschland antisemitische Vorfälle zu verzeichnen, die verdeutlichen, dass das Thema Antisemitismus nach wie vor aktuell ist. Eine Langzeitstudie der Technischen Universität Berlin stellt fest, dass antisemitische Inhalte in sozialen Medien und Blogs so weit verbreitet sind wie nie zuvor. 

Die deutsche Gesellschaft darf dieses wichtigen Themas keinesfalls überdrüssig werden, sondern muss antisemitische Vorfälle im Gegenteil als Aufforderung begreifen, unsere gesellschaftlichen Grundwerte klar hervorzuheben und zu verteidigen.

Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Studentenverbände (AGV) möchte mit dem vorliegenden Papier dazu beitragen, dass die aktuelle Problemlage differenziert diskutiert wird und mögliche Lösungswege skizzieren. Als größter Zusammenschluss von katholischen Studenten an nahezu allen Universitätsstandorten in Deutschland ist es für die AGV ein zentrales Anliegen für die Thematisierung des Antisemitismus einzutreten, jegliche antisemitischen Vorfälle – insbesondere an Universitäten – zu benennen und klar Position gegen diese Tendenzen zu beziehen.

Die Vielfältigkeit des Antisemitismus – eine Bestandsaufnahme

Aus der deutschen Geschichte leitet sich eine besondere Verantwortung für unsere jüdischen Mitbürger ab. Dieser gesellschaftliche Grundkonsens wird jedoch zunehmend von Teilen der Gesellschaft in Frage gestellt. 

Dieser Eindruck wird beispielsweise durch die jüngeren Vorfälle erzeugt, wie die Übergriffe auf einen jüdischen Professor in Bonn und einen Kippa tragenden jungen Mann in Berlin.

Antisemitismus ist gerade deshalb eine große Herausforderung, weil er in vielerlei Formen auftritt und häufig nicht unmittelbar als solcher zu identifizieren ist. 

Im Folgenden werden die verschiedenen Strömungen benannt, aus denen sich der heutige Antisemitismus speist. 

Essentiell für die glaubwürdige Bekämpfung des Judenhasses ist, dass eine Hierarchisierung und damit auch Verharmlosung der jeweiligen Formen des Antisemitismus vermieden wird. Teilweise werden hier aus falsch verstandener politischer Korrektheit die Probleme nicht deutlich genug aufgezeigt.

So warnte Lala Süsskind, Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, erst kürzlich: „[D]ie Judenfeindlichkeit von muslimischer Seite wird vollkommen unterschätzt und sogar herunter geredet.“

Eine mangelnde Sensibilität in dieser Problematik zeigt sich anhand der Tatsache, dass von staatlicher Seite Islamverbände unterstützt werden – beispielsweise das Islam-Zentrum Hamburg – die unter anderem im Rahmen des jährlichen Al-Quds-Tags anti-israelische Parolen verbreiten.

  1. Muslimischer Antisemitismus 

Der muslimisch geprägte Antisemitismus erfährt besonders seit dem verstärkten Zuzug von Menschen aus muslimischen Ländern des Nahen Ostens und Teilen Nordafrikas in den letzten Jahren einen Aufschwung.

Anlässlich des Jüdischen Zukunftskongresses in Berlin bezeichnete der Direktor der School of Jewish Theology in Potsdam, Rabbiner Walter Homolka, „[…] Antisemitismus von muslimischer Seite [als] eine weitere Belastungsprobe für jüdisches Leben im Land.“ In einigen Herkunftsländern der Immigranten gehört eine antiisraelische Außenpolitik zur Staatsdoktrin. Sie erkennen den Staat Israel nicht an. Aufgrund politischer Konflikte, die gleichzeitig eine religiöse Komponente in sich tragen, sind antisemitische Vorkommnisse dort ein alltägliches Problem. 

Es besteht die Gefahr, dass sich diese von den Einwanderern mitgebrachten Konfliktlagen in Deutschland entladen. Die Beispiele für solche Konflikte sind mittlerweile zahlreich: Das Mobbing von Schülern jüdischen Glaubens auf deutschen Schulhöfen – nicht nur, aber häufig – durch ihre muslimischen Mitschüler ist zu einem handfesten Problem geworden. Besonders erschütternd zeigt dies das Beispiel eines jüdischen Jugendlichen, der eine Gemeinschaftsschule in Berlin-Friedenau Ende März 2017 aufgrund antisemitisch motivierter Beleidigungen und Prügelattacken verlassen musste, und nun in Tel Aviv zur Schule geht. Ähnlich gelagerte Beispiele, wie die bereits oben genannten antisemitischen Vorfälle von Bonn und Berlin, zeigen klar und deutlich ein milieubedingtes Problem auf, das leider zu oft verschwiegen wird.

Ein weiteres großes Problem des muslimischen Antisemitismus ist dabei unter anderem struktureller Art: Es gibt keinen Ansprechpartner in Deutschland, der einen Großteil der muslimischen Gemeinschaft vertritt. Dies erklärt auch, warum eine offizielle Distanzierung gegenüber antisemitischen Vorfällen häufig nicht stattfindet, so etwa beim jährlichen Al-Quds-Tag.

Die deutsche Gesellschaft muss sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen, inwiefern muslimische Migranten ein judenfeindliches Weltbild nach Deutschland bringen; dies gilt sowohl für neu hinzugezogene Muslime als auch für jene der dritten Generation. Ihnen gegenüber muss spätestens während des Integrationsprozesses deutlich gemacht werden, dass die in den Grenzen unserer Verfassung gelebte Religionsfreiheit ein essentielles Grundrecht unseres demokratischen Staates darstellt und für alle religiösen Strömungen gleichermaßen gilt.

Das Verbrennen von Israel-Fahnen, die Äußerung antisemitischer Hetzparolen und jegliche Form physischer Gewalt haben in Deutschland keinen Platz.

  1. Rechter Antisemitismus

Rechtsextremismus ist unbestreitbar eines der Kernprobleme, die das Leben unserer jüdischen Mitbürger gefährden. Vorfälle, wie der Angriff auf das jüdische Restaurant „Schalom“ am Rande der Chemnitzer Demonstrationszüge im Herbst 2018 erinnern an dunkelste Zeiten unserer eigenen Geschichte und sind gezielte Attacken auf jüdisches Leben in Deutschland. Aber nicht nur physische Gewalt gegen Juden muss uns sensibilisieren. Auch das Skandieren von zutiefst antisemitischen Parolen – wie beispielsweise erst kürzlich in Dortmund geschehen („Wer Deutschland liebt, ist Antisemit.“) – muss mit aller Konsequenz und Härte des Rechtsstaates geahndet werden.

Die Polizei darf solchen Parolen in Deutschland keinerlei Raum geben. Die antisemitische Ideologie des Rechtsextremismus greift dabei nicht nur jüdisches Leben in Deutschland an, sondern zugleich das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben. 

Ein Angriff auf die jüdische Bevölkerung stellt somit auch gleichzeitig einen Angriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland dar und muss entschieden geahndet werden. 

  1. Linker Antisemitismus

Auch im politisch linken Lager bis in die Mitte der Gesellschaft ist ein immer häufiger auftretender Antisemitismus zu beobachten, der hinter einem verstärkten Israelbezug antisemitische Sprache verborgen hält. Vor allem populäre politische Bewegungen wie Boycott, Divestment and Sanctions (kurz: BDS) reiten auf der Welle eines sich israelkritisch gebenden, in großen Teilen linken Antisemitismus. Viele prominente BDS-Unterstützer fallen immer wieder mit antizionistischen bis antisemitischen Äußerungen auf.

Umso gravierender ist es, wenn Institutionen wie die evangelische Kirche in Deutschland solchen Organisationen eine Bühne geben – so beispielsweise geschehen Mitte September 2018 in der Evangelischen Akademie Bad Boll.

Klar ist: Die Kritik an bestimmten Äußerungen und Verhaltensweisen der israelischen Regierung kann legitim sein und darf in einem demokratischen Meinungsbildungsprozess nicht tabuisiert werden.

Die Kritik wird jedoch dann zu einem Träger antisemitischer Botschaften, wenn sie sich gegen Israel als Ganzes richtet und Israel nur noch als Worthülse benutzt wird, um das Wort „Jude“ zu umgehen.

Lösungsansätze

Wie kann dem vielschichtigen Problem des Antisemitismus in Deutschland begegnet werden?

  1. Beauftragte für jüdisches Leben

Die AGV begrüßt ausdrücklich die Entscheidung der Bundesregierung, das Amt des Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland zu schaffen. Dieses Amt wird das alte Problem des Antisemitismus nicht alleine lösen können. Der Beauftragte kann aber Aufmerksamkeit sowohl für die Anliegen unserer jüdischen Mitbürger als auch für unsere gesamtgesellschaftlichen Problemlagen schaffen. Insbesondere die Einrichtung eines Vereins zur bundeseinheitlichen Koordinierung von Meldestellen antisemitischer Vorfälle nach dem Berliner Vorbild (dem Meldesystem RIAS) ab Mitte November 2018 wurde maßgeblich von Amtsinhaber Dr. Felix Klein initiiert und macht deutlich, dass der Beauftragte durchaus etwas bewegen kann. Das neue Meldesystem kann dazu beitragen, ein differenzierteres Bild antisemitischer Vorfälle in Deutschland zu dokumentieren und juristisch nicht weiter verfolgte Vorfälle dokumentieren. 

Die Tätigkeit der Antisemitismus-Beauftragten der Bundesländer – namentlich der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz – begrüßt die AGV ebenso, da diese durch das Wirken vor Ort auf landesspezifische Problemlagen gesondert eingehen können. Auch die Berufung eines Antisemitismus-Beauftragten in den restlichen Bundesländern, wie etwa in Nordrhein-Westfalen angedacht, ist wünschenswert. 

  1. Judentum den Menschen näherbringen

Die historische Verwurzelung von Juden in Deutschland kann auch auf anderem Wege hervorgehoben werden: So legt das Projekt Jewish Places einen neuen Fokus auf jüdische Regionalgeschichte in Deutschland. Das Projekt hilft mittels einer interaktiven Karte, auf der jüdisch geprägte Orte verzeichnet sind, die jüdische Kultur und Geschichte „vor der Haustür“ kennenzulernen.

Hier geht es um die Sichtbarkeit und die Botschaft, dass das Judentum keineswegs etwas Fremdes, sondern schon immer ein Teil deutscher Geschichte und Kultur gewesen ist.

Schließlich sind die jüdischen Gemeinden zu ermutigen, regelmäßig Tage der offenen Tür zu veranstalten, und so die Distanz zwischen den jüdischen Gemeinden und der nicht-jüdischen Bevölkerung in Deutschland zu verringern. Häufig gelingt dieser Austausch bereits – andererseits wissen viele Menschen oftmals nicht, dass es in ihrer Stadt aktive jüdische Gemeinden gibt. 

  1. Jüdisches Leben besser im Schulunterricht und an den Universitäten vermitteln

Das Thema Antisemitismus muss im Schulunterricht eine präsentere Rolle finden. Wichtig dabei ist es, einen Narrativ zu finden, mit welchem auch heutige Generationen die Tragweite der antisemitischen Vergangenheit und Gegenwart in Deutschland verstehen. Insbesondere ist ein alleiniges Abstellen auf die historische Schuld der Deutschen in unseren Augen nicht förderlich. Schuld ist etwas Individuelles, das nicht vererbbar ist. Vielmehr muss an die wiederkehrende Verantwortung eines jeden in Deutschland lebenden Menschen appelliert werden, die sich aus der Vergangenheit unseres Landes ergibt. 

Vor allem sollte jüdisches Leben in Deutschland nicht nur, sondern auch im Kontext des Holocaust dargestellt werden. Gezielt sollte aber auch alltägliches jüdisches Leben heute angesprochen werden, um Vorurteile abzubauen und die Distanz vom Unbekannten einer anderen Kultur zu minimieren.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, betonte unlängst, dass sich jüdisches Leben nicht auf die Jahre 1933 bis 1945 beschränkt. Diese Einschätzung muss im Schulunterricht vermittelt werden. Bei der Darstellung und Vermittlung jüdischen Lebens in deutschen Schulbüchern sollten Anregungen und Hinweise der in Deutschland lebenden Juden berücksichtigt werden.

Insbesondere ist der verpflichtende Besuch einer jüdischen Gedenkstätte oder eines Konzentrationslagers, wie er immer wieder als Vorschlag in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird, unabdingbar für das Verständnis von jüdischem Leben in Deutschland. Der Freistaat Bayern hat dieses Konzept bereits als verpflichtenden Besuch einer KZ-Gedenkstätte im Landesbildungsplan integriert. Allerdings bedürfen solche Besuche einer guten Vor- und Nachbereitung. 

Im universitären Bereich ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus sowie dem jüdischen Leben in Deutschland zu fördern. Gleichzeitig sollte eine Sensibilität für problematische Seminarinhalte geschaffen werden.

Konkret fordert die AGV insbesondere folgende neun Punkte zu einem wirksamen und präventiven Umgang mit Antisemitismus in unserer Gesellschaft:

  • Entschiedenes Vorgehen gegen jegliche Arten des Antisemitismus in unserer Gesellschaft,
  • Einführung einer bundeseinheitlichen Datenbank antisemitischer Vorfälle unter Aufschlüsselung der Motive,
  • Transparentmachung des verdeckten sekundären Antisemitismus,
  • Aufzeigung und Ausräumung von Versäumnissen im Integrationsprozess von Muslimen,
  • Stärkere Auseinandersetzung mit der jüdischen Kultur im Schul- und Hochschulwesen – mindestens ein verpflichtender Besuch einer jüdischen Gedenkstätte an den weiterführenden Schulen einschließlich der Vor- und Nachbereitung,
  • Installation von Beauftragten für jüdisches Leben in allen Bundesländern,
  • Konsequentes Vorgehen der Straforgane gegen Antisemitismus,
  • Ermutigung zu Synagogen-Besuchen und anderen offenen Begegnungen mit Menschen jüdischen Glaubens, 
  • Bekräftigung der Kultur der Zivilcourage – gegen Gleichgültigkeit im täglichen Miteinander.

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