AGV Dialog-Seminar München

19. – 21. März 2019

„Europa als Wertegemeinschaft begreifen“

Der Himmel über München zeigte bei strahlendem Sonnenschein und schon frühlingshaften Temperaturen sein schönstes Weiß und Blau. Gute äußere Bedingungen für das Frühjahrsseminar der Arbeitsgemeinschaft katholischer Studentenverbände (AGV), das in diesem Jahr vom 19. bis 21. März in der Isarmetropole stattgefunden hat. Wieder waren führende Persönlichkeiten aus Politik, Religionsgemeinschaften, Universität und Medien der Einladung zu Spitzengesprächen mit dem AGV-Vorstand und den Leitungen der studentischen Zweige von CV, KV und UV gefolgt.

Der Weg zum ersten Gespräch führte die 13 Verbandsvertreter – darunter die Vorortspräsidenten von CV, KV und UV – in das Jüdische Zentrum am Sankt-Jakobs-Platz der Isarmetropole, wo sie eine Galionsfigur der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland trafen: Dr. h.c. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und von 2006 bis 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Für die 86-jährige war es eine Premiere: Es war das erste Mal, dass sie mit verbandlich organisierten Studenten zusammentraf. 

Charlotte Knobloch lobt AGV-Initiative gegen Antisemitismus

Grundlage für den Austausch war das kürzlich von der AGV veröffentlichte Positionspapier gegen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland (abrufbar unter: www.agvnet.de/wp-content/uploads/AGV_Antisemitismuspapier_final.pdf2_.pdf), das die Grande Dame der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik sorgfältig gelesen hatte. „Dass die katholischen Studentenverbände sich mit dem Thema beschäftigen, ist aller Ehren wert“, lobte Charlotte Knobloch die Bemühungen der AGV und hob die in dem Positionspapier eingeforderte Bildungsarbeit besonders hervor: „Bildung zählt für mich zu den wichtigsten Werkzeugen, die uns im Kampf gegen Antisemitismus zur Verfügung stehen.“ Auch wenn die inzwischen vielfach erfolgte Berufung von Antisemitismusbeauftragten im Bund und in den Ländern und eine weitere Stärkung der Polizeiarbeit gegenüber judenfeindlichen Vorfällen richtig und wünschenswert seien, bleibe es doch die Arbeit an den Schulen und Hochschulen, die Missverständnissen vorbeugen und notwendiges Wissen über das Judentum fördern könnten.

In diesem Zusammenhang zeigte sich Charlotte Knobloch besorgt über Entwicklungen an einigen deutschen Hochschulen, wo ein israelfeindliches und mit antisemitischen Stereotypen versehenes Bild verbreitet werde. Sachliche Kritik am Staat Israel stehe jedem natürlich frei, aber „wenn man Israel als Synonym für alles Jüdische braucht, wird eine Grenze überschritten“, mahnte sie. 

Der muslimische Antisemitismus ist nach Meinung von Knobloch zwar durch die Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern verstärkt worden; allerdings sei auch darüber hinaus Antisemitismus in Deutschland immer noch tief verwurzelt. Judenhass habe hierzulande generell wieder deutlich zugenommen und könne sich auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens stützen. „Schauen sie mal ins Internet, hier erleben wir oft eine Pogromstimmung in den sogenannten sozialen Netzwerken“, beklagte die engagierte Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde.

„Wir erleben heute antisemitische Tendenzen in der Gesellschaft, aber leider Gottes auch in der Politik in einem Maße, das ich nicht mehr für möglich gehalten hätte. Nicht noch einmal und nicht in diesem Land“, bekräftigte Knobloch. Das Problem Antisemitismus werde zwar in Reden und Artikeln seit Jahrzehnten bekämpft, nehme aber dennoch in der Realität an Dringlichkeit zu statt ab. Die hohe und weiter steigende Prävalenz von Antisemitismus in unserem Land werfe zwei Fragen auf, von denen die erste unangenehm und die zweite schwierig sei: „Wie konnte es so weit kommen und was können wir heute dagegen tun?“ 

AfD für jüdische Menschen in Deutschland nicht akzeptabel

Auf die AfD angesprochen, glaubt Knobloch, dass diese längst im rechtsextremen Lager angekommen sei. Dies zeige nicht zuletzt der kontinuierliche Angriff auf die deutsche Erinnerungs- und Gedenkkultur. Gleichwohl sieht sie nicht die gesamte Partei in einer rechtsextremen Ausrichtung und nicht jeder AfD-Wähler sei ein Antisemit. Aber solange die Partei für Revisionismus, religionsfeindliche Konzepte sowie eine völkisch-nationalistische Vision stehe und folgenlos rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Thesen verbreite, sei sie für jüdische Menschen in Deutschland „nicht akzeptabel“. 

Im Blick auf die Gruppe Juden in der AfD, sagte Charlotte Knobloch in dem Gespräch mit der AGV, dass die AfD trotz jüdischer Mitglieder antisemitisch sei und ein Programm propagiere, das jüdisches Leben unmöglich mache. „Eine Partei, die Antisemiten in ihren Reihen duldet und die die Forderung nach dem Verbot der Beschneidung und des Schächtens, zweier Grundpfeiler des jüdischen Glaubens, erhoben hat, kann im Kampf gegen Judenhass niemals ein Verbündeter sein, sondern nur ein Gegner“, stellte die Beauftragte für Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress klar. 

Charlotte Knobloch hat den Zweiten Weltkrieg mit einer falschen Identität überlebt und wollte danach zusammen mit ihrem Vater eigentlich nur noch weg aus Deutschland. „Ich wollte die Menschen, die uns gedemütigt, beleidigt, angespuckt und verraten hatten, nicht mehr sehen und zu meinem Onkel in den Vereinigten Staaten.“ Doch es kam anders: Sie lernte ihren Mann kennen und bekam drei Kinder, was Auswanderungspläne nach Australien zunichte machte – und sie blieb in München. 

Heute kommen angesichts des zunehmenden aggressiven Antisemitismus vor allem junge Familien mit kleinen Kindern zu Charlotte Knobloch und fragen, ob sie als Juden in Deutschland noch eine sichere Zukunft haben. Sie sagt ihnen, dass Deutschland heute ein sicheres, demokratisches und wohlhabendes Land ist, das mit dem Antisemitismus fertig werden kann, wenn es ihn entschlossen bekämpft. Ob sie selbst heute als junge Jüdin bleiben würde, wüsste sie angesichts der immer weiter zunehmenden Verunsicherung nicht. 

Judenhass stellt Menschlichkeit der ganzen Gesellschaft infrage 

Doch Charlotte Knobloch sieht trotz aller beängstigenden Tendenzen auch viele positive Entwicklungen, die Mut machen. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland seien so lebendig wie nie zuvor in der deutschen Geschichte. Dennoch ist sie für die Zukunft nicht von Zweifeln frei, ob der Kampf gegen den zunehmenden Judenhass erfolgreich sein wird. „Wir müssen zeigen, dass Antisemitismus oder Rassismus keine jüdischen Probleme sind, sondern die Menschlichkeit einer ganzen Gesellschaft in Frage stellen“, erklärte sie. Unter dem Hass leide die gesamte Bevölkerung und jeder Einzelne trage Verantwortung, den antisemitischen Tendenzen entgegenzuwirken. Deshalb seien auch die Bemühungen der katholischen Studentenverbände so wichtig. „Wir müssen alle gemeinsam Menschenhass und Antisemitismus entschlossen entgegentreten“, forderte Knobloch, die 2009 von der Universität Tel Aviv mit der Ehrendoktorwürde für ihren unermüdlichen Einsatz für das Miteinander der Religionen sowie für kulturellen und sozialen Austausch zwischen Israel und Deutschland ausgezeichnet wurde.

Ein beeindruckendes Bauwerk: die Ohel-Jakob-Synagoge

Zum Abschluss des Treffens regte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland an, Kontakt zu jüdischen Studentenverbänden aufzunehmen und zu prüfen, ob eine Zusammenarbeit mit der AGV möglich ist.

Nach dem Gespräch bekamen die AGV-Repräsentanten noch eine exklusive Führung durch die dem Gemeindezentrum angegliederte Ohel-Jakob-Synagoge mit dem aus den USA stammenden Rabbiner Steven Langnas, von 1998 bis 2011 Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München und heute Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zunächst führte ein Gang unterirdisch vom Gemeindezentrum in den Gebetsraum, der mit Zedernholz aus dem Libanon und hellem Jerusalem-Stein ausgekleidet ist und in der goldenen Nachmittagssonne in warmen Farbtönen erstrahlt. Rabbiner Langnas erklärte nicht nur die beeindruckende Architektur des 2006 seiner Bestimmung übergebenen Sakralbaus, sondern erläuterte auch den Aufbau einer Synagoge, den Ablauf eines jüdischen Gottesdienstes, die Bedeutung des Sabbats, die jüdischen Speisevorschriften und die verschiedenen Richtungen im Judentum. 

Am Abend konnten die Seminarteilnehmer dann die bajuwarische Gastlichkeit im Weißen Bräuhaus genießen und das beeindruckende Gespräch vom Nachmittag noch einmal Revue passieren lassen. Für Unermüdliche stand – wie auch am folgenden Abend – noch ein Bummel zu verschiedenen Korporationshäusern an. 

Zukunft Europas noch viel zu wenig im Blick 

Am nächsten Tag ging es nach einer interessanten Führung zu ausgewählten Sehenswürdigkeiten in München zum ersten Gesprächstermin in die Bayerische Staatskanzlei, wo der Chef der Schaltzentrale der Staatsregierung und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien Gastgeber war. Mit Dr. Florian Herrmann (CSU) wurde vor allem über die Ende Mai anstehenden Wahlen zum Europaparlament gesprochen, zu denen die AGV ein Positionspapier mit „Wahlprüfsteinen“ erarbeitet hat. Der Minister beklagte, dass die Zukunft Europas noch viel zu wenig im Blick sei. So sei beim traditionellen und öffentlichkeitswirksamen Starkbieranstich auf dem Nockherberg wenige Tage zuvor das Thema Europa kaum vorgekommen. „Da ist erst gar keiner auf die Idee gekommen, die aktuellen Herausforderungen in Europa zu thematisieren“, klagte Florian Herrmann.

Der Leiter der Staatskanzlei sieht die Europäische Union nicht nur als Interessengemeinschaft, sondern zuerst als Wertegemeinschaft: Werte, „die über die Jahrhunderte aufgrund der gemeinsamen abendländischen christlich-jüdischen Tradition gewachsen sind, wie die parlamentarische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte wie Menschenwürde, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit oder die Gleichheit von Mann und Frau“, so der promovierte Jurist. Diese Wertegemeinschaft wolle man auch an die nächste Generation weitergeben. 

Als weiteren wichtigen Punkt nannte Herrmann die Friedenssicherung: „Viele kennen Europa nur im Frieden, der aber auch heute noch nicht selbstverständlich ist.“ Er verwies auf die Väter der europäischen Idee, denen es vor allem um die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg gegangen sei, ein Modell, das dann Schritt für Schritt auf weitere Länder Europas übertragen wurde.

„Wir sagen Ja zu Europa, aber zu einem Europa der Vielfalt und Regionen“

Herrmann zufolge steht Europa in diesem Jahr „ganz grundsätzlich infrage“. Es gehe darum, ob die Kräfte der Mitte bei der Wahl zum Europaparlament überhaupt noch eine Mehrheit gegenüber Populisten und Europaskeptikern bekommen könnten. Gemeinsame Hauptaufgaben seien jetzt, den Klimawandel, disruptive Technologien und die Friedenssicherung „in den Griff zu kriegen”, sagte der Staatsminister. Doch der Umgangston sei rauer geworden. Das Bekenntnis Bayerns zur europäischen Integration sei jedenfalls unverrückbar. „Wir sagen Ja zu Europa, aber zu einem Europa der Vielfalt und Regionen. Wir wollen, dass Entscheidungen nicht nur zentral fallen, sondern dass die Menschen in den Regionen eingebunden werden“, betonte Florian Herrmann, der der Katholischen Bayerischen Studentenverbindung Rhaetia in München angehört. 

Was die Europawahl betreffe, so gehe es um sehr viel mehr als nur um Europa selber. Aktuell herrsche weltweit eine große Verunsicherung. Die Menschen sähen, dass außenpolitisch wie wirtschaftlich vieles im Umbruch sei. Europa müsse weltweit große Herausforderungen lösen: Digitalisierung, Demografie, Klimawandel und Globalisierung seien nur einige Beispiele, machte Herrmann deutlich. Wer glaube, dass dies irgendwelche Kleinstaaten in Europa allein bewerkstelligen könnten, sei lebensfremd und unrealistisch. „Man kann stolzer Bayer oder stolzer Deutscher sein, doch für bestimmte Aufgaben braucht man eine größere Einheit“, stellte Herrmann heraus. Unter Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip betonte er: „Alles, was auf regionaler Ebene entschieden werden kann, muss nicht nach Brüssel wandern, also: soviel Europa wie nötig, soviel nationale und regionale Gestaltung wie möglich.“ 

Zum Thema Asyl und Migration vertrat Florian Herrmann den Standpunkt, dass die CSU von Anfang an eine klare Linie verfolgt habe, die sie auch beibehalten werde. „Unsere Maxime lautet: Humanität im Umgang mit den hier lebenden Menschen, Ordnung und Begrenzung sowie die Bekämpfung von Fluchtursachen“, so der CSU-Politiker. Dies sei ein vernünftiger und wirkungsvoller Ansatz. Bayern habe hier nachweislich Großartiges geleistet.

In der weiteren regen Diskussion wurden noch zahlreiche andere Themen angesprochen – etwa die transatlantischen Beziehungen, das Verhältnis zu Russland und China, der Brexit sowie Viktor Orbán und die Rolle seiner Fidesz-Partei im künftigen Europaparlament.

Zukunftsthemen voranbringen

Zum nächsten Gespräch ging es ins Maximilianeum, den Bayerischen Landtag, wo Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) – er ist korporiert bei der Münchener CV-Verbindung Aenania – der AGV-Delegation vor allem zu hochschul- und bildungspolitischen Fragen Rede und Antwort stand. Er begreife das Wissenschaftsministerium als ein „Gestaltungsministerium“, das Zukunftsthemen voranbringen könne, umschrieb Bernd Sibler sein Ziel in den nächsten Jahren. Als wesentliche Eckpunkte nannte er mehr Mitsprache für Bayerns Studentinnen und Studenten, eine deutliche Position bei der Verhandlung des Hochschulpaktes mit dem Bund und den Abschluss von neuen, zukunftsweisenden Zielvereinbarungen mit den bayerischen Universitäten und Hochschulen. 

Seine Pläne, Studenten im Freistaat mehr Mitspracherechte zu geben, will der Minister für Wissenschaft und Kunst im Bayerischen Hochschulgesetz verankern. „Damit möchte ich das ehrenamtliche Engagement derjenigen honorieren, die sich für die Belange ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen einsetzten“, sagte Sibler. Studenten sollen die Möglichkeit erhalten, während ihres Studiums „zu Zukunftsgestaltern und Problemlösern zu werden“. Die Forderung der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen nach Einführung einer Verfassten Studierendenschaft (VS) lehnte er allerdings ab: „Wir wollen keine VS-Zwangsmitgliedschaften und die Beteiligung an den Wahlen wird auch nicht besser“, begründete Sibler diese Entscheidung. Man habe in Bayern gute Erfahrungen mit der Landesschülervertretung gemacht und wolle dieses Modell mit einem strukturierten Diskussionsprozess im Wesentlichen auch auf Studentinnen und Studenten übertragen.

Hinsichtlich des Wettbewerbs um Exzellenz wünscht sich der Wissenschaftsminister noch mehr Kooperation zwischen den Einrichtungen der Spitzenforschung im universitären, aber auch im außeruniversitären Bereich. „Unser Ziel muss es sein, die vorhandene Exzellenz zu stärken und sie gleichzeitig weiter zu bündeln und zu vernetzten!“, forderte Sibler. Die bereits bestehende Unterstützung der Universitäten solle weiter verstärkt werden.

Auf die Frage, welche Kompetenzen im Bildungsbereich in diesem Zusammenhang eventuell besser an die EU abgegeben werden sollten, reagierte Sibler zurückhaltend. Auch mit dem Vorschlag einer europäischen Universität konnte er sich nicht anfreunden. Er bevorzuge eher eine regionale und internationale Vernetzung für verstärkte Kooperationen. „Zusammenarbeit statt Abgabe“, lautet seine Maxime. 

Hochschulpakt über 2020 fortsetzen

Eine große Säule der Hochschulfinanzierung sei – so der CSU-Politiker – der zunächst bis zum Jahr 2020 befristete Hochschulpakt, mit dem Mittel für den Ausbau von Studienplätzen bereitgestellt werden, um auf das gestiegene Studieninteresse zu reagieren. Die angestrebte Fortsetzung dieser Bund-Länder-Kooperation müsse nun verstetigt und Planungssicherheit für die Hochschulen geschaffen werden, sagte Sibler. Der wachsende Fachkräftebedarf auf dem Arbeitsmarkt und die hohe Studierneigung ließen auch künftig hohe Studienanfängerzahlen erwarten, die erst allmählich aufgrund der demografischen Entwicklung zurückgehen würden. Komplementär zum Ausbau der Studienplätze sollen aus dem Hochschulpakt Projekte gefördert werden, die die Qualität in der Lehre verbessern, Frauen in der Wissenschaft fördern und die Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung erhöhen. Vor allem streiten sich die Länder zurzeit noch mit dem Bund über die „Dynamisierung“ der Mittel. Sie wollen, dass die Gelder für den Pakt jährlich steigen, etwa um drei Prozent, die sich Bund und Länder teilen würden. Das lehnt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek aber bisher ab.

Landespolitisch will Wissenschaftsminister Bernd Sibler nach einer Phase des Ausbaus den Hochschulstandort Bayern weiter stärken: „Konsolidieren statt expandieren“ lautet sein strategisches Ziel. „Darunter verstehe ich, die vorhandenen Standorte zu stärken, ihr Profil zu schärfen und gemeinsam mit unseren Hochschulen die Fragen der Zukunft zu beantworten. Wir müssen den großen Megatrends wie Digitale Revolution, Mobilität der Zukunft, Demographie, Gesundheit, Pflege und nachhaltige Infrastruktur begegnen“, führte Bernd Sibler aus. Deshalb will er Forschung und Lehre in den Regionen wie in den Ballungszentren stärken. Als Beispiele nannte er die geplante Technische Universität Nürnberg, die Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie der Technischen Universität München (TUM) in Ottobrunn/Taufkirchen, das Universitätsklinikum Augsburg, den beispielgebenden Medizincampus Oberfranken sowie die zahlreichen Technologientransferzentren.

Hinsichtlich der bereits begonnenen Zielvereinbarungen mit Bayerns Universitäten und Hochschulen betonte der Minister das partnerschaftliche Verhältnis zu den Einrichtungen und zeigte sich zuversichtlich: „Die bereits definierten Schwerpunkte, aus denen unsere Hochschulen auswählen können, enthalten alle wesentlichen zukunftsweisenden Themen wie Digitalisierung, Wissens- und Technologietransfer, regionale und internationale Kooperation und Vernetzung sowie optimale Studienbedingungen.“ Verpflichtend sei für jede Einrichtung, dass sie sich um die Erhöhung der Anzahl von qualifizierten Frauen auf Professuren kümmere. „Das ist mir ein persönliches Anliegen“, betonte Sibler.

Digitalisierung hat eine Zeitenwende eingeleitet

Einen wunderschönen Ausblick über die Isarmetropole hatten die Teilnehmer des Seminars beim nächsten Termin: Im 17. Stockwerk des Hauptfunkhauses des Bayerischen Rundfunks trafen sie den Intendanten des Senders und Vorsitzenden der ARD, Ulrich Wilhelm, der vor allem die Digitalisierung in den Fokus des Gesprächs stellte. 

Er betonte, dass die Digitalisierung auch in der Medienbranche in vollem Gange sei. Sie habe eine Zeitenwende eingeleitet, in der größte Veränderungen innerhalb kürzester Zeit stattfänden. Das sei eine bahnbrechende Entwicklung, die die Gesellschaft auf vielen Feldern herausfordere. Beispielhaft nannte er den Jugend- und Datenschutz sowie die Verrohung in sozialen Netzwerken. Wilhelms Schlussfolgerung: „Der Digitalisierungsprozess muss an unserem Wertesystem ausgerichtet werden.“ Denn seine Folgen prägten deutlich kulturelle, soziale, wirtschaftliche, aber auch technische Aspekte des Lebens.

Wilhelm, der von 2005 bis 2010 Sprecher der Bundesregierung war, verwies darauf, dass sich der öffentliche Raum, in dem sich Demokratie entfalte, weiter verändern werde. In der Vergangenheit hätten hauptsächlich Print- sowie konventionelle TV- und Hörfunkmedien Informationen weitergegeben. Jetzt könne jeder einzelne über die sozialen Medien eigene Versionen eines Geschehens verbreiten. „Damit ist es für die Menschen schwierig zu entscheiden, ob eine Information wahr oder falsch ist“, sagte Wilhelm.

Als großes Problem sieht der BR-Intendant, dass die Anbieter der Verbreitungsalgorithmen nicht zum Ziel hätten, die breite Öffentlichkeit neutral zu erreichen, sondern ihre Seiten und Nachrichten treffsicher zu platzieren. Das steigere die Werbeeinnahmen dieser Konzerne. Auch suche der Mensch Glücksmomente, sage die Gehirnforschung. Viele Menschen verschafften sich diese, indem sie im Internet interagieren und Reaktionen auf ihre Meinungsäußerungen erzielen.

Algorithmen können, so Wilhelm, Segen und Fluch sein: „Sie sorgen auf der einen Seite dafür, dass unsere Smartphones und Computer uns genau das zeigen, was wir sehen, hören oder lesen wollen. Auf der anderen Seite schaden sie aber auch. Sie befeuern die Fragmentierung der Gesellschaft – wenn sich mehr und mehr Menschen überwiegend nur noch mit Themen beschäftigen, die sie ohnehin interessieren und nur noch mit Gleichgesinnten austauschen.“ Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könne helfen, diesen digitalen Graben zu überwinden, indem er verschiedene gesellschaftliche Gruppen miteinander ins Gespräch bringe.

In einer regen Diskussion wurden auch Fragen wie der Vertrauensverlust in die Medien, die aktuelle Debatte um das Urhebervertragsrecht, die Verantwortungsstruktur in der ARD und das Verhältnis zu den neun sie tragenden Rundfunkanstalten, die Programmgestaltung und finanzielle Probleme thematisiert. 

Die Gestaltung der Beitragssätze sei ausschließlich Sache des Gesetzgebers, also der Länderparlamente. Dies gelte auch für mögliche Vergünstigungen, etwa für Studenten. Bisher zahlen sie wie alle anderen Nutzer je Wohnung. Bei Wohngemeinschaften bedeute dies ein gewisses regulierendes Element. Aber Wilhelm gestand zu, dass es bei allein lebenden Studentinnen und Studenten eine gewisse Ungerechtigkeit gebe. Die Notwendigkeit von steigendem Finanzbedarf begründete der BR-Intendant mit der Teuerungsrate, die die Rundfunkanstalten genau so treffe wie alle anderen Unternehmen. In Kaufkraft ausgedrückt gebe es seit Jahren beim BR schrumpfende Haushaltsvolumina, was bei gleichbleibenden Einnahmen vor allem Einsparungen bei den Personalkosten bedeute. Gemäß den entsprechenden Vorgaben des Rechnungshofs werde die Mitarbeiterzahl beim BR von 900 auf 450 halbiert.

Vor allem werde bei jüngeren Leuten gespart, die wesentlich schlechtere Konditionen bei der Altersversorgung haben als die Älteren. Wer vor 1993 bei der ARD begonnen habe, habe vier Mal höhere Pensionsansprüche als derjenige, der seit 2017 seine Arbeit aufgenommen habe. „Die Politik setzt auf Schrumpfung, die Gewerkschaften pochen im Rahmen der Tarifautonomie auf Besitzstandswahrung, sodass die auferlegten Sparzwänge auf dem Rücken der jüngeren Mitarbeiter mit neuen Verträgen ausgetragen werden“, stellte Wilhelm fest. „Hier gibt es eine echte Schieflage.“

Den Abschluss der Termine beim Frühjahrsseminar der AGV bildete ein Gespräch mit dem Vizepräsidenten für IT-Systeme und Dienstleistungen (CIO) der Technischen Unuversität München Dr. Hans Pongratz. 

Videofeedback, Blended Learning und Remote Labs – längst hat sich der Alltag in deutschen Hörsälen verändert. Pongratz bestätigte die Aussage von Intendant Ulrich Wilhelm, dass die Digitalisierung der Innovationsmotor des 21. Jahrhunderts sei und sukzessive unsere Gesellschaft durchdringen werde. Abläufe, Arbeitsweisen und Methoden änderten sich nachhaltig und neue Nutzungsszenarien würden möglich.

„Auch die Hochschulen sind betroffen, da sich die Bedarfe, Erwartungshaltungen und Ansprüche der Nutzerinnen und Nutzer anhand der technischen Möglichkeiten stets fortentwickeln“, stellte der promovierte Informatiker fest. Neben der digitalen Modellierung der Geschäftsprozesse sei eine zeitgemäße und robuste Infrastruktur Grundvoraussetzung für den Einsatz digitaler Technologien an Hochschulen. Erste Ziele des Hochschulforums Digitalisierung, einem deutschlandweiten Netzwerk für die Hochschullehre, das dem fächer- und hochschulübergreifenden Austausch sowie dem Kompetenzaufbau im Bereich des digitalen Lehrens und Lernens dient, seien erreicht, wie das Diskussionspapier mit 20 Thesen zur Digitalisierung der Hochschulbildung zeige. In Richtung Politik sieht er die Tür geöffnet, dass Bund und Länder zukünftig besser verstehen, was deutsche Hochschulen im Strudel der digitalen Neuerungen brauchen.

Auch die Technische Universität München arbeitet, so Hans Pongratz, an einer benutzerfreundlichen und nahtlosen Infrastruktur für Information und Kommunikation, die eine Verbesserung der Leistungen in Forschung und Lehre bei gleichzeitiger Kostenoptimierung ermöglicht. Ob Campus Management, online Lehrveranstaltungen oder soziale Netzwerke für Forscherinnen und Forscher – die fortschreitende Digitalisierung der Welt biete große Chancen und Potentiale.  

Universitäten müssten Antworten finden, wie sie die neuen Möglichkeiten effizient in Forschung, Lehre und Verwaltung einsetzen. Auf nationaler Ebene sei zum Beispiel  im Jahr 2014 das „Hochschulforum Digitalisierung“ ins Leben gerufen worden, um eine Plattform für den Austausch der Hochschulen zu diesem Thema zu schaffen sowie auch Lösungsansätze und Strategien für den Umgang mit der Digitalisierung zu entwickeln. „Die Technische Universität München arbeitet an einer benutzerfreundlichen und nahtlosen Infrastruktur für Information und Kommunikation, die eine Verbesserung der Leistungen in Forschung und Lehre bei gleichzeitiger Kostenoptimierung ermöglicht“, betonte der Vizepräsident für IT-Systeme und Dienstleitungen.

Bei digitaler Entwicklung beachten: Mensch ist soziales Wesen

 

Neue Potenziale für Studium und Weiterbildung sieht der IT-Spezialist in einer hochschulübergreifenden digitalen Infrastruktur. Der damit verbundene hohe Aufwand lege nahe, digitale Kurse und Services möglichst vielen Studenten zugänglich zu machen – gerade auch über die eigene Hochschule hinaus. Als erfolgreiche Beispiele nannte er die Virtuelle Fachhochschule (VFH) und die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb). Probleme sieht Hans Pongratz bei reinen online-Formaten, weil das soziale Gefüge fehle. „Man muss bei diesen Entwicklungen darauf achten, dass der Mensch als soziales Wesen, der direkte persönliche Kontakt nicht zu kurz kommt“, betonte der Vizepräsident. Es dürfe auf keinen Fall eine Digitalisierung um ihrer selbst wegen geben, sondern es müsse immer nach dem Mehrwert gefragt werden.

Doch es bleiben viele Fragen: Was ist der Wert von Bildung, wenn Informationen jederzeit aus einem digitalen Wissensspeicher abgerufen werden können? Wodurch zeichnet sich Hochschulbildung aus, wenn zunehmend am konkreten wirtschaftlichen Bedarf orientierte digitale Weiterbildungsangebote auf den Markt treten? Was bleibt vom Ideal des mündigen Bürgers, wenn Wissen und seine Vermittlung, wenn Intelligenz maschinenlernbar werden soll? 

Positives Fazit

Am Ende des Dialogprogramms in München konnte der AGV-Vorsitzende Johannes Winkel zufrieden auf die drei Tage in der Isarmetropole zurückblicken. Die Diskussion um den wachsenden Antisemitismus konnte auf der Grundlage des Positionspapiers vom 22.01.2019 fortgesetzt werden; es konnten noch wertvolle Erkenntnisse für die geplante Positionierung der AGV zu den bevorstehenden Europawahlen Ende Mai  gewonnen werden; und es gab gute Inputs zum Thema Digitalisierung, mit dem die AGV sich in nächster Zeit weiter befassen muss. Also eine rundum gelungene und bereichernde Veranstaltung.

Von Herman-Josef Grossimlinghaus (UV)

0 Kommentare